Lehrer sein

In letzter Zeit denke ich wieder mehr darüber nach, warum ich das tue, was ich tue und warum ich es so tue, wie ich es tue.

Was will ich mit meinem Unterrichten?

Was sind Situationen, die mich reizen? Was sind Situationen, in denen ich eine besondere Sinnhaftigkeit empfinde. Denn das ist es doch, was ich mit meiner Arbeit suche, Sinnhaftigkeit.

Es gibt Dinge, die mich noch nie besonders interessiert haben, z.B einen Schüler fit zu machen für Jugend musiziert. Ehrlich gesagt habe ich noch nie einen Schüler fit gemacht für Jugend musiziert. Das ist fast ein bisschen peinlich. Aber es interessiert mich einfach nicht. Wettbewerb interessiert mich nicht besonders.

Wenn ich allerdings eine Schülerin hätte, die unbedingt zu Jugend musiziert wollte und sich ernsthaft darauf vorbereiten wollte, würde ich mitmachen und sie so gut ich könnte und bestimmt mit viel Freude unterstützen.

Vielleicht ist das das Entscheidende. Den Schüler in dem, was er will unterstützen, ihm helfen herauszufinden, was er möchte mit diesem Instrument, herauszufinden, was er lernen möchte, was er erleben möchte.

Manchmal ist es ganz einfach das Tor zur Musik, das ich mithelfe zu öffnen. Es ist berührend zu sehen, wie eine kleine Schülerin von der Musik berührt wird, wie sie glücklich und stolz ist, selber Musik zu machen.

Es ist auch berührend, eine alte Dame zu sehen, die sich vielleicht einen alten Kindheitswunsch erfüllt mit diesem Unterricht und vielleicht irgendwann mal was ganz Klitzekleines von Schubert spielen will.

Natürlich habe ich auch selber Ideen, was jemandem vielleicht gut tun könnte, was vielleicht gut wäre zu lernen. Bei vielen jüngeren Schülern geht es darum, das Lernen überhaupt zu lernen, kleine Schritte zu machen, mit der eigenen Ungeduld klarzukommen, Frustrationstoleranz zu entwickeln.

Und was möchte ich beibringen? Was ist mir beim Erarbeiten von Musikliteratur wichtig?

Natürlich möchte ich den Schülern Technik und Stil einer bestimmten Musik vermitteln. Und doch sind die Anforderungen, die diese Musik per se vorzugeben scheint und die ich im Falle der Jugend Musiziert-Vorbereitung sehr sehr gut beachten müsste, für mich nicht das Maßgebliche beim Unterrichten.

Der Schüler ist die Methode.

Diesen für mich ganz zentralen Satz hat der bedeutende Klavierpädagoge Peter Heilbut gesagt.

Ja, der Schüler steht im Mittelpunkt, von ihm hängt ab, was ich unterrichte und wie ich es unterrichte.

Die eine Schülerin kann ich vielleicht einfach darauf hinweisen, die Forte-Stelle doch ein bisschen kräftiger zu spielen.

Bei einem anderen Schüler, der vielleicht zurückhaltender oder ängstlicher ist, kann Laut-Spielen auch ein ganz sensibles Thema sein. Dann lasse ich das Thema vielleicht sogar zuerst einmal weg. Und wenn ich es angehe, tue ich es in dem Bewusstsein, dass es für den Schüler mit Überwindung verbunden ist, ja mit einem Erweitern seiner eigenen Grenzen, also mit echter Entwicklung und das wahrscheinlich nicht nur am Klavier.

Vielleicht finde ich auch, dass das ausgeprägte Rubato-Spielen zu dem Schubertwalzer eigentlich nicht passt. Aber während ich mit dem einen Schüler versuche, Schuberts Stil an der Grenze zwischen Klassik und Frühromantik nachzuspüren, bin ich bei einer anderen Schülerin so glücklich darüber, dass sie etwas ausdrücken will, dass sie ihr eigenes Empfinden in etwas Hörbares umwandeln will, dass ich sie einfach gewähren lasse.

Klavierunterrichten und Entwicklung-Begleiten lassen sich nicht voneinander trennen. Für meinen Unterricht ist mir das Zweite das Wichtigere.

Demut

Ich vermag nicht einzusehen, wie man Demut ohne Liebe oder Liebe ohne Demut habe oder haben könne. (Teresa von Ávila)

DEMÜTIG sein,

eine Eigenschaft, die zu haben in verschiedenen Berufen gut und hilfreich ist, vielleicht sogar unabdingbar für TherapeutInnen, SeelsorgerInnen, Ärztinnen, LehrerInnen, und ja, ganz sicher auch für KlavierlehrerInnen.

Ich weiß nicht alles.

Ich bin nicht die Retterin.

Vielleicht kann ich jemandem nicht helfen.

Ich kann es nicht für ihn tun.

Demut, das ist

Wissen um meine Grenzen

Wissen, dass es immer auch anders sein kann.

Wissen, dass ich da einen eigenen Kosmos vor mir sitzen habe. Da ist etwas, das ich bestimmt nicht vollständig erfassen kann.

Wissen, dass da etwas ist, das größer ist als die Schüler*In, als ich und die ganze Situation.

Das Unterrichten in den Zeiten der Corona



ES B ES B D B

Fröhliches Signal

Tonika Dominante Tonika auf kleinsten Tonraum eingekocht
Es B Es B D B in Wiederholung: Beginn Spannung Auflösung= Beginn Spannung Auflösung, begleitet vom bangen Warten, ob die Verbindung zustande kommt. Dann endet das Signal, ich höre Geräusche, Stimmen, die nicht aus meiner Wohnung kommen, wackelig entsteht ein Bild und das Gesicht einer SchülerIn taucht auf.

Das ist heute, drei Monate nach dem Shutdown die erste Erinnerung, wenn ich an das erste Unterrichten über Skype denke; die Freude, wenn wieder ein liebes Gesicht auftaucht, vielleicht auch ein neues, jemand mehr, den ich wieder ins Schülerboot holen kann. Die Freude, den Virus, das Kontaktverbot, die Einschränkung, vielleicht auch die eigene Angst wie überlistet zu haben. Sich auf dieser Insel, dieser Plattform im Orbit treffen können.
Normalerweise sehe ich die Schüler beim Reinkommen, dann am Klavier mehr von der Seite, oft bin ich konzentriert auf die Wahrnehmung von Haltung und Bewegungen. Nun darf ich ihre Gesichter betrachten.

Der 13. März war in Niedersachsen der Tag, an dem die Schließung der Schulen bis nach den Osterferien beschlossen wurde, zufällig auch mein Geburtstag und für mich der einschneidendste Tag in der Corona- Historie, der, an dem mir klar wurde, dass es nicht so weiterging wie bisher. Die Unsicherheit war groß. Ich sagte meinen Geburtstagskaffee für den nächsten Tag ab. Am Montag und Dienstag der folgenden Woche unterrichtete ich noch einzelne Schüler mit unruhigem Gefühl hier zu Hause, in den folgenden Tagen begann ich, den gesamten Unterricht auf Online umzustellen. Natürlich gab es eine Menge technischer Probleme gepaart mit geringem Sachverstand, dafür aber großer Ungeduld meinerseits. Der Retter war wie so oft mein Mann, Informatiker und natürlich Technik-affin, der sich der Probleme und meines alten MacBooks mit großer Geduld annahm und abends sogar über Teamviewer auf den noch älteren Computern einzelner Schüler Skype, Google Duo u.ä. einrichtete.
Der Lautsprecher meines Macs war trotzdem schnell überfordert und beklagte sich durch Scheppern und Zittern. Sprachwiedergabe ging noch, Klavierklang war unterirdisch oder besser- wie unter Wasser. Bluetooth und Wiedergabe über Verstärker und Boxen machten das Ganze dann erträglicher. Am fittesten in der Situation waren ganz klar die Handy- und Interneterprobten Jugendlichen. Apps wurde in Minutenschnelle heruntergeladen und installiert, alles takko.
Da mit Ausfall der Schule alle viel Zeit hatten, aber auch, weil ich anfangs 45 Minuten mit den noch immer zumindest gewöhnungsbedürftigen Bild- und Toneindrücken (letztere leider auch zeitweise um Sekunden versetzt) kaum sinnvoll nutzen konnte, bot ich kürzere Einheiten, dafür mehrmals die Woche an, eine Art Übebetreuung. Das wurde gut angenommen, so dass, als die Osterferien begannen, drei Viertel der Schüler wieder mit Unterricht versorgt waren.

Schon in dieser Anfangszeit, als vorrangig wichtig war, das Online- Unterrichten überhaupt hinzukriegen, einerseits technisch, aber auch insofern, als die Schüler und auch ich selber zuerst einmal überzeugt werden mussten, dass es auf diese Weise Sinn machte, konnte ich schon einige interessante Beobachtungen machen:
Die Klangqualität war natürlich weiterhin eingeschränkt und nicht mit dem Live- Eindruck zu vergleichen, Töne und Rhythmus konnte ich klar hören, aber schon was den Spielfluss betraf, konnte ich mir, wenn er hakte, nicht sicher sein, ob es der Schüler war, der gerade stockte oder die Übertragung. Legato, Staccato, Phrasierungen, Pedalgebrauch etc. waren oft schwierig zu erkennen und damit zu bewerten. Gerade die Wirkung des rechten Pedals hört sich auf vielen Klavieren ohnehin unterschiedlich an, nun hatte ich es mit lauter verschiedenen Klavieren und Flügeln zu tun, die ich nun zum ersten Mal und dann in der Verzerrung der Übertragung hörte. Teilweise orientierte ich mich mehr über die Augen als über die Ohren. Wenn Klang und Bild wieder einmal versetzt ankamen, musste ich lernen, nur zu gucken oder nur zu hören. Anderen Klavierlehrern schien es ähnlich zu gehen. „Anyone else worried about fingering when lessons go back to “normal?” 😱😱 fand ich in einer Pianoteacher- Gruppe bei Facebook.
Als günstig erwies sich, die Handykamera meist links neben den Tasten so zu positionieren, dass ich die Hände, den größten Teil der Klaviatur, Oberkörper des Schülers und die Bewegung des rechten Oberschenkels sehen konnte. Wenn die klangliche Übertragung schlecht war, konnte ich so über die Bewegungen auf die Qualität des Staccatos oder den richtigen Zeitpunkt des Pedalwechsels schließen. Eine Schülerin baute ein Stativ, mit dem sie das Handy über ihrem Kopf justieren und mir einen Blick von oben auf Hände, Tasten und Noten ermöglichen konnte, mit dem ich ihre Umsetzung der anspruchsvollen Stimmführung einer Bach- Allemande so genau beobachtete, wie es im Präsenzunterricht glatt nicht möglich gewesen wäre.
Aber das waren dann schon die umgesetzten Erfahrungen. Gerade in den ersten zehn Tagen konnte ich zunächst nur ungenauer sein. Normalerweise muss ich mich selber am Anfang der Stunde daran erinnern, die Schüler zuerst mal spielen zu lassen, ihnen zu ermöglichen, an meinem Klavier anzukommen und sich spielend zu gewöhnen und zu orientieren, was für mich bedeutet, Fehler zuerst mal einfach stehen zu lassen. Der mir eigentlich gemäßere Impuls, (den ich oft unterdrücke), ist eher, gleich auch auf Artikulation, Phrasierung, Klang, Pedal einzugehen und zu korrigieren. Ich liebe es, an ein paar Takten gründlich zu arbeiten. Zuerst mal nur die Töne und dann der Rhythmus, egal wie`s klingt- das war noch nie mein Ding. Meine Detailfreude ist für die Schüler bestimmt manchmal nervig, aber auch bequem, weil ich ja im Unterricht alles mit ihnen übe.
In der neuen Situation verlagerte sich der Schwerpunkt viel mehr auf Noten, Töne, Rhythmus; das führte dazu, dass viel mehr Noten „gefressen“ wurden und der „Rohbau“ von Stücken viel schneller erstellt wurde. Dass das auch was für sich hat, erstaunte mich selbst am meisten. 😉
Dabei wurde immer ziemlich schnell klar, wer einfach zu wenig geübt hatte, um sinnvoll damit arbeiten zu können. Manche Stunden beendeten wir schon nach zwanzig Minuten, weil die SchülerIn es selber vorzog, lieber noch mal zu üben und mir später in der Woche noch einmal vorzuspielen. Zeitlich waren wir ja alle flexibel. 🙂 Auch die Möglichkeit, Videos zu schicken, erwies sich als günstig, weil man auf diese Weise leichter Zwischenziele („Schick mir doch bis Freitag ein Video von Takt 18 – 36…“) setzen konnte.
Die größeren Anforderungen an Selbständigkeit und -verantwortung der Schüler zeigten sich auch an anderer Stelle. Ich spielte weniger vor, ließ die Schüler Probleme beschreiben, fragte viel nach, musste mehr mit Worten erklären, anleiten. Es fand also auch eine andere Verlagerung statt, nämlich zu mehr Abstraktion und Versprachlichung, Bewusstsein und Verstehen. Ein Detail war, dass die Schüler nun ihre Aufgabenhefte selber führen mussten.
Für mich selber war die Situation auch eine große Übung in Annehmen, Gleichmut und Flexibilität. Jeder Schüler ging natürlich unterschiedlich mit der veränderten Situation um, manchen lag die mehr analytische Herangehensweise, anderen fehlte der persönliche Kontakt, gerade als dann nach den Ferien das homeschooling begann, verlor der Online-Klavierunterricht klar an Exotik, manches ging auch einfach umständlicher und dauerte länger. Meine Leitlinie „Umgehen mit dem was ist“ bekam neue Aktualität.

Als sich die Schulen nach den Osterferien langsam wieder öffneten, begann ich auch nach und nach wieder den Unterricht hier zu Hause. Durch die günstige Situation des Einzelunterrichts mit Abstand in einem relativ großen Raum war es früh möglich, nach Augenmaß zu entscheiden. Viele Anfragen von Eltern für ihre Kinder, aber auch von älteren Schülern zeigten, dass die allermeisten zurück in den Präsenzunterricht wollten. Die direkte Wahrnehmung und Resonanz in Klang und Beziehung ist einfach nicht zu ersetzen. Trotzdem würde ich sagen, dass wir alle im Onlineunterricht Kompetenzen erworben haben, die auch weiterhin nützlich sind, zumal durch das Abstandhalten noch immer mehr Erklären als Zeigen stattfindet.

Die Sorge um die Fingersätze hat sich übrigens nicht bestätigt, aber ich bin gespannt auf die Aufgabenhefte!

von hinten nach vorne üben

Ein kleiner Übetipp für eine klassische Situation: In vier Tagen ist Weihnachten und das Weihnachtslied, das man unterm Tannenbaum spielen will, schwächelt noch ein bisschen. Stellen wir uns ein Stück von etwa einer Seite vor, sechzehn Takte in vier Zeilen, sowas wie „Oh du fröhliche“, eigentlich nicht so schwer. Der Anfang geht richtig sicher, aber am Ende der zweiten Zeile stockt es. Die dritte geht dann wieder besser, aber die letzte bringt man nur mit Ach und Krach zu Ende.

Bevor man das Ganze absagt, könnte man versuchen, einmal anders zu üben. Die meisten Schüler üben von vorne nach hinten oder spielen vielleicht auch eher nur durch (aber das natürlich auch von vorne nach hinten ;)) und ich schlage mal die umgekehrte Richtung vor. Wir fangen hinten an. Womit ich aber nicht meine, das Lied jetzt rückwärts zu spielen, wie eine kleine Schülerin neulich, die tatsächlich mit beiden Händen beim letzten Ton anfing und sich dann Note für Note wacker in umgekehrter Richtung durch die letzte Zeile arbeitete. Das wäre sicher auch mal ein tolles Experiment, aber dafür haben wir bei unserem Weihnachtslied jetzt keine Zeit- Heiligabend ist in vier Tagen!

Nein, wir fangen mit dem letzten Takt an. Und ja, auch, wenn der letzte Takt nur aus einem Akkord besteht. Diesen Akkord spielen wir ganz in Ruhe ein paar Mal, bis wir anfangen, entspannt damit zu sein. Das ist der Akkord, der uns am Ende des Stücks empfängt wie ein Nest, wie Nach-Hause-Kommen, schön, wenn wir ihn so gut kennen.

Als nächstes sehen wir uns den vorletzten Takt an, spielen ihn ein paar Mal, machen ihn uns klar und spielen dann auch ein paar Mal die letzten beiden Takte, also vom vorletzten Takt bis zum Schlussakkord. Und wahrscheinlich geht das bald schon ganz gut. Auf diese Weise beginnen wir immer einen Takt früher und lernen so die vier Takte der letzten Zeile. Wenn wir das haben, sind  schon ein paar Minuten um. Ich bin immer dafür, sich nicht zu lange festzubeißen und würde vorschlagen, die letzte Zeile nun einfach ruhen zu lassen und vielleicht später am Tag das Ganze noch mal zu wiederholen. Aber vielleicht ist ja noch Energie da, also mache ich mich auf die gleiche Weise an die zweite Zeile, die ja noch immer holpert. Und dann lasse ich auch die zuerst mal bis später liegen. Die Zeit zwischen dem Üben, die Pause, das Loslassen sind wichtig, weil die Nervenbahnen Zeit brauchen zum Wachsen.

Beim nächsten Üben kann man das Lied zu Beginn ruhig ein, zwei mal durchspielen und eine kleine Bestandsaufnahme machen. Die letzte Zeile läuft schon besser, aber natürlich noch nicht perfekt und deshalb kann man die ganze Prozedur ruhig noch einmal machen. Und wahrscheinlich braucht man weniger Zeit als beim Mal davor. Sinnvoll ist es natürlich auch, die dritte und vierte Zeile im Zusammenhang zu spielen, genau wie die erste und die zweite.

Wenn man sich so an drei aufeinanderfolgenden Tagen zwei mal 10 Minuten mit dem Lied beschäftigt, wird es wahrscheinlich schon recht sicher gehen.

Aber warum ist dieses Üben von hinten nach vorne so effektiv und sinnvoll?

Zum einen, weil man den Anfang eines Stücks sowieso schon am meisten gespielt hat und auf diese  Weise den vernachlässigten Teilen mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmet.

Dann, weil gegen Ende eines Stücks die Aufmerksamkeit und Konzentration nachlassen, gerade, wenn man noch nicht so sicher ist. Um so wichtiger, auch die zweite Hälfte gut zu können.

Außerdem übt man, immer wieder an einer anderen Stelle mitten im Stück anzufangen, was nicht nur gut für die Orientierung und das wirkliche KENNEN des Stücks ist (im Gegensatz zum automatischen Durchschwimmen). Man findet da, wo man beginnt, auch bessere Positionen für die Finger, lernt, sich an Stellen Idealbedingungen zu schaffen, mit denen sie leichter gehen und wird automatisch oder mit ein bisschen Dran- Denken versuchen, diese Bedingungen auch beim Durchspielen, wenn man an der Stelle wieder ankommt, herzustellen.

Viel Spaß beim Üben und Frohe Weihnachten!

Vorspielen

Jedes Jahr vor Weihnachten veranstalte ich mit meinen Schülern zwei Weihnachtsvorspiele, kleine Konzerte, bei denen Eltern, Verwandte und Freunde zuhören können. Vor allen längeren Ferien versuche ich auch, Möglichkeit zum Vorspielen zu geben. Im Unterschied zu den Weihnachtsvorspielen treffen wir uns da aber ohne Zuhörer von außen, nur die Schüler und ich, meist am letzten Schultag, da sind alle in Erwartung der Ferien schön entspannt. 🙂
Wir haben kein festes Programm, keine festgelegte Reihenfolge, auch halbe oder halbfertige Stücke sind möglich. Diese Treffen, bei denen man sich gegenseitig vorspielt, würde ich eher als Werkstattvorspiele bezeichnen, die neben dem Interesse an dem, was die anderen gerade so spielen, vor allen Dingen der Selbsterfahrung dienen. Werkstatt heißt, das Produkt, in diesem Fall das Stück, das man gerade übt, ist nicht fertig, sondern in Arbeit und man testet, wie es sich unter erhöhter Belastung verhält.

Dass unsichere Stellen in Stücken unter Nervosität nicht unbedingt besser werden, diese traurige Erfahrung hat wahrscheinlich schon jeder Musiker gemacht. 😉 Aber vielleicht kennt man auch den Zustand, unter Adrenalin mehr Energie zu haben oder dass einem in der Resonanz mit dem Publikum die Kantilene des langsamen Seitenthemas ausdrucksstärker gelingt.

Egal, wie man auf ein anderes Klavier, andere Akustik oder Zuhörer reagiert, ob man mehr oder weniger unter Lampenfieber leidet, Tatsache ist, dass man auf die veränderte Situation reagiert. Der Körper fühlt sich anders an, das Gehirn arbeitet anders, die Wahrnehmung verändert sich. (Von dem, was vielleicht auf der gedanklichen oder emotionalen Ebene in einem vorgeht, ganz zu schweigen.) 

Als ich mit knapp 12 Jahren das erste Mal beim Regionalwettbewerb von „Jugend musiziert“ in Aachen teilnahm, war ich eine sehr ungeübte Vorspielerin.  (Meine jüngeren Erfahrungen beschränkten sich auf einen Auftritt bei der Abifeier meiner Schule, bei dem meine größte Sorge war, wie ich den von meiner Erdkundelehrerin geforderten Knicks beim Applaus unterbringen sollte.) Das Wettbewerbsvorspiel fand im Audimax statt, die Bühne war riesig, darauf der große schwarze Flügel, in der ersten Reihe drei griesgrämig guckende Juroren, im hinteren Teil des Saals ein paar versprengte Eltern. Ich kann mich nicht erinnern, sehr nervös gewesen zu sein, aber ich weiß, dass ich die Situation als unangenehm empfand. Ich spielte Mozarts Variationen über „Ah vous dirai-je maman“ und ich begann sie zu schnell und wurde dann noch immer schneller, so dass ich in der letzten Variation fast aus der Kurve flog. Das war aber neben einem allgemeinen Mich-Unwohl-Fühlen interessanterweise das Einzige, was ich bemerkte. Die Veränderung im Tempo hatte sich meiner Wahrnehmung komplett entzogen.

Tatsächlich ist die Veränderung des Tempo-Gefühls ein ganz typisches Phänomen, wenn man aufgeregt ist. Der Grund liegt auf der Hand. Das ausgeschüttete Adrenalin sorgt als erstes dafür, dass die Herzfrequenz steigt. Nun braucht es sowieso einige Übung, sich das Tempo, in dem man ein Stück spielen will, zu merken. Um wieviel schwerer ist es aber, Tempo zu erinnern, wenn unser eigener Puls, unser eigenes Grundtempo, auf das wir uns unbewusst beziehen, gerade anders ist als normalerweise. Tempogefühl zu objektivieren ist gar nicht einfach und meiner Erfahrung nach ein Prozess, der Jahre dauert. Sich immer wieder unterschiedlichen Situationen aussetzen ist eine gute Übung.

Das Tempo ist aber nur ein Beispiel für Dinge, die wir unter Stress anders wahrnehmen oder anders machen. Bei meinen Schülern beobachte ich, dass Bewegungen oft vorsichtiger, kleiner werden, das betrifft nicht nur Hände und Finger, sondern sogar die Bewegung des Fußes am Pedal. Es gibt vieles zu entdecken und oft reicht es schon, die Veränderungen bewusster zu erleben, um besser mit ihnen umgehen zu können. Und die Erfahrung, mit einer Vorspielsituation umgehen zu können, reduziert wiederum die Nervosität vor dem nächsten Vorspielen.

Übrigens ist es auch für „richtige“ Konzerte gar keine schlechte Idee, sie aus der Werkstatt- Perspektive anzugehen, die Stücke und ihre Interpretation mehr als eine Annäherung und das Vorspielen als Erfahrung und sich selbst damit im Prozess zu betrachten. Diese Haltung entspannt eher, als sich nur auf Resultat und Leistung zu fokussieren. Michael Bohne schreibt in seinem Buch „Klopfen gegen Lampenfieber“, dass Profimusiker in Untersuchungen berichten, dann in Konzerten locker zu sein, wenn sie sich fühlen wie beim Üben. (-Beim Versuch, die Textstelle nachzugucken, stelle ich fest, dass meine beiden Exemplare des Buches gerade wieder in Umlauf sind…, wen wundert`s…)

Nach neun Jahren Klavierunterricht schrieb mir eine Schülerin einen wunderbaren langen Brief, in dem sie unsere gemeinsame Klavier-Zeit ab der ersten Stunde Revue passieren lässt. An einer meiner Lieblingsstellen äußert sie sich auch zu den vielen (und manchmal nervenaufreibenden) Vorspielen:
„Das Vorspielen hat mich also nicht gelehrt, meine Komfortzone zu verlassen, sondern sie zu erweitern!“
So soll`s sein. 🙂

Konflikte…

Klavierschulen widmen oft ganze Kapitel dem Thema Staccato und Legato. Knifflig wird es vor allem dann, wenn die Hände Unterschiedliches tun sollen, also die eine Hand staccato, also gezupft spielen soll und die andere legato, gebunden. Das heißt, der Finger der einen Hand geht nach dem Anschlag sofort weg von der Taste, während der Finger der anderen Hand seinen angeschlagenen Ton bis zum nächsten Anschlag halten muss. – Hilfe, das ist ja schon schwer zu erklären!
Für unser Gehirn ist dieses „gleichzeitig“ eine Riesenherausforderung, offensichtlich hat es lieber, wenn beide Hände das Gleiche tun. 😉
Aus diesem Grund wird das Thema oft als ein fortgeschrittenes behandelt und taucht deshalb auch meist erst gegen Ende der ersten Klavierschule auf. Wenn wir uns aber nochmal vor Augen führen, was dieses “ Legato und Staccato gleichzeitig“ eigentlich bedeutet, nämlich eben, dass die eine Hand die Taste angeschlagen halten muss, während die andere gleich loslässt, wird klar, dass man mit dieser Problematik schon viel früher zu tun bekommt, nämlich schon dann, wenn man das erste Liedchen mit einer kleinen Begleitung spielt.
Der Grund liegt in der Natur des Instruments Klavier. Um die gleiche Taste wieder anschlagen zu können, müssen wir sie zuerst loslassen, also weggehen. Jedesmal, wenn wir den gleichen Ton mehrmals hintereinander spielen, müssen wir uns eigentlich so verhalten wie beim Staccato- Spielen. Gerade in Liedern, deren Melodie sich ja über das Singen und nicht am Klavier gebildet hat, gibt es jede Menge dieser Tonwiederholungen, die Begleitung dazu ist aber vielleicht gebunden. Oder umgekehrt: Wir haben eine Liedstimme, die sich gut binden lässt und begleiten sie mit einer Dudelsackquinte, die wir immer wieder lösen und neu anschlagen müssen. In beiden Fällen haben wir den Konflikt zwischen Binden und Absetzen, zwischen Halten und Loslassen.
Bei Liedern ist es zudem so, dass wir am Ende einer Liedzeile abphrasieren, d.h. da, wo die Sängerin atmet, geht die Hand weg und macht eine Pause, setzt quasi ein Komma. Idealerweise macht die begleitende linke Hand diese Phrasierung aber nicht mit, sondern verhält sich wie der gute Begleiter, der auch nicht die Hände von den Tasten und den Fuß vom Pedal nimmt, wenn der Sänger atmet.

Natürlich können wir dieses Thema nicht in allen Feinheiten im Anfangsunterricht bearbeiten, aber es wichtig, es früh bewusst zu machen. Bleibt es unerkannt, passiert meist Folgendes: Unbewusst versucht das Gehirn, die beiden unterschiedlichen gleichzeitigen Anforderungen einander anzunähern, d.h., die Hand, die eigentlich loslassen soll, klebt an den Tasten in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, es der bindenden Hand gleichzutun; dann, wenn der neue Anschlag schon kommen soll, realisiert sie, dass sie loslassen muss, wobei dann die Hand, die eigentlich binden soll, gleich mit loslässt.
Oft haben Schüler an solchen Stellen, selbst wenn sie sich „durchschummeln“ können, ein diffuses Gefühl, dass sie hängen und deuten genau darauf, wenn ich frage, wo sie sich noch unsicher fühlen.

Okay, wie kann man solche Stellen üben? Koordinationsmäßig sind sie ungefähr so anspruchsvoll wie Fahrradfahren, tollerweise brauchen wir aber keine Mindestgeschwindigkeit, um das Gleichgewicht zu halten, deshalb können wir langsam (eins der drei Lieblingsworte von Klavierlehrern) üben. Langsam heißt hier: Rhythmus und Tempo völlig ignorieren und nur die Bewegung üben.

Ich sehe mir die Stelle quasi unter dem Vergrößerungsglas an, d.h. ich gucke zuerst einmal genau, zwischen welchen Noten der Konflikt entsteht, wo die Nahtstelle ist, an der beim ersten Anschlag die eine Hand den Ton halten muss, (um beim nächsten Anschlag zu einem anderen Ton, zu einer anderen Taste weiterzubinden), die andere aber loslassen muss, (um beim nächsten Anschlag wieder die gleiche Taste neu anschlagen zu können).

Wenn mir das klar ist, versuche ich, nur bis zum Ende des ersten Anschlags zu spielen. (Ich sage „versuche“, weil schon das gar nicht so einfach ist….)

Wenn ich es geschafft habe, da wirklich anzuhalten, schaue ich mir meine Hände an. Idealerweise sollte die eine noch die angeschlagene Taste halten, die andere aber nicht. Wahrscheinlicher ist, dass entweder beide halten oder beide in der Luft sind. 😉
Sind beide in der Luft, muss ich zuerst versuchen, beide an den Tasten zu lassen.
Wenn beide noch halten, nehme ich die Hand, die absetzen muss, weg. Diese kleine Übung wiederhole ich ein paarmal mit dem Ziel, die absetzende Hand schon früher zu lösen, sie schließlich gleich nach dem Anschlag wegzunehmen.

Es lohnt sich, diese Bewegung zu übertreiben, d.h. die absetzende Hand darf weit weg von den Tasten gehen. Auf diese Weise macht man sich die Unterschiedlichkeit des Tuns auch physisch wirklich bewusst. Diese Übertreibung der Bewegung ist natürlich ein Zwischenschritt, später kann man sie wieder kleiner machen.
Meist gelingt dieses Weggehen schon nach einigen Versuchen, so dass, wenn man einen Schnappschuss von der Nahtstelle machen würde, die eine Hand in der Luft ist, die andere die Taste noch angeschlagen hält.

Wenn ich das geschafft habe, darf ich weiterspielen, also in jeder Hand den nächsten Ton anschlagen. Auch hier gilt es wieder langsam zu sein, wieder völlig die Anforderungen von Rhythmus und Tempo zu ignorieren, nur zum nächsten Ton zu finden und zwar, ohne dass die bindende Hand doch noch im letzten Moment loslässt. Auch diesen erweiterten Ablauf muss ich wiederholen, damit er sich einprägt.

Natürlich kommen irgendwann wieder Rhythmus und Tempo dazu, das geschieht fast von selbst. Denn wie die Motivationstrainerin Vera Birkenbiel so schön in einem ihrer tollen Vorträge sagt: “ Schneller werden wir von alleine.“
Der Aufwand für eine kleine Stelle mag  groß erscheinen, letztendlich wird man sich aber nicht länger als ein paar Minuten damit beschäftigen müssen und beim nächsten Üben wird es schon leichter gehen. Jede weitere Stelle mit dieser Problematik ist irgendwann nur noch ein Wiedererkennen und man bekommt schon beim Lesen der Noten einen Blick dafür.

Also, der Aufwand lohnt sich für ein ganzes Klavierspielerleben. 🙂

…und nun mal auswendig…

„Wie kann ich das Stück auswendig lernen?“ Zugegeben, diese Frage höre ich ehrlich gesagt nie. Egal, wie individuell das Lernen sonst stattfindet, beim Auswendiglernen treffe ich meist auf zwei Haupt-Herangehensweisen. Die einen spielen sowieso auswendig, ob die Noten nun da stehen oder nicht. Die anderen wollen sich nicht von den Noten lösen, trauen es sich nicht zu, auswendig zu spielen.

Diese Unterschiede haben etwas damit zu tun, wie wir unsere Sinne beim Klavierlernen benutzen -da hat jeder seine Affinitäten und Vorlieben- und wie sich das Klavierspiel- Gedächtnis  in Zusammenhang mit diesem individuellen Sinnesgebrauch entwickelt.

Wenn man ein Stück mit Noten, ob man nun hineinguckt oder nicht, schon ganz gut spielen kann, lohnt es sich, die Noten geöffnet auf einen Stuhl neben das Klavier zu legen, so dass man sie bequem lesen kann, ohne die Hände vom Klavier zu lösen.

Die Noten neben dem Klavier geben den Noten-Lesern die nötige Sicherheit. Ich fordere sie auf zu versuchen, ohne Noten zu spielen, aber wenn sie nicht weiterkommen, können sie über den bewussten Blick in die Noten auf dem Stuhl leicht den Anschluss finden. Das ist sozusagen Auswendiglernen mit Sicherheitsnetz. Oft sind sie erstaunt, wieviel besser sie das Stück schon im Kopf haben, als sie vorher dachten. Gleichzeitig wird eine Gedächtnisart, die sie nicht so nutzen, gefördert, nämlich das Tastenbild-Gedächtnis. Für die, die den Blick normalerweise in den Noten haben, kann es am Anfang ein bisschen irritierend sein, plötzlich die eigenen Finger die ganze Zeit vor sich zu sehen, aber keine Sorge, das gibt sich! (Übergangsweise kann es helfen, die Augen zu schließen, denn damit wird die Ablenkung ausgeschaltet, dafür aber sofort das Greifen und das Greifgedächtnis aktiviert, und das ist bei den Noten-Lesern, die ja gewohnheitsmäßig den Blick in den Noten und damit nicht fürs Greifen zur Verfügung haben, gut ausgebildet.)

Nach meinen Erfahrungen unterschätzen diejenigen, die gerne, gut und am liebsten nur nach Noten spielen, ihre Fähigkeiten, auswendig zu spielen. Mit den Noten neben dem Klavier haben sie die Möglichkeit zu einem Realitätsabgleich.

Genau diesen Realitätsabgleich gibt es aber auch für diejenigen, die eher schon von vornherein auswendig spielen. Wenn ich vorschlage, das Stück auswendig zu lernen, sagen sie meist, dass sie es schon können, weil sie ja tatsächlich kaum oder gar nicht in die Noten gucken. Trotzdem haben aber auch die Auswendig-Spieler meistens die Noten vor sich stehen.

Bei Schülern, die sehr schnell und früh auswendig lernen, passiert dies meist „automatisch“, ohne großes Bewusstsein. Dieser Automatismus ist aber anfällig für Störungen. Ein anderes Klavier,  andere haptische und auditive Rückmeldungen oder auch nur die Anwesenheit des Lehrers und damit verbundene Nervosität können diesen Automatismus, der auf Fluss beruht, Bewegungsfluss, Fluss der Musik, empfindlich stören. Es sind die Schüler, die zu Hause das Stück fehlerfrei durchspielen, diesen Zustand im Unterricht aber nicht mehr herstellen können. Die Lösung heißt für sie nicht Störungen vermeiden, sondern unabhängiger werden von Störungen und Veränderungen und zwar durch mehr Bewusstsein.

Die Noten neben dem Klavier bedeuten zunächst schonmal eine Veränderung des Gewohnten. Es werden wahrscheinlich Unsicherheiten entstehen und das ist gut so, weil sie neue Orientierung und Bewusstheit fordern. Ein Schüler, der immer mit Noten auf dem Pult auswendig gespielt hat, wird irritiert sein, wenn sie nicht mehr da stehen und aus dieser Irritation heraus Fehler machen und vielleicht sogar hängen bleiben und nicht weiter wissen. Ich versuche, ihn darin zu unterstützen, die damit verbundenen unangenehmen Gefühle von Unsicherheit zu akzeptieren -das ist gar nicht so einfach, wenn man sich vorher schon sicher gefühlt hat- und sie als einen Zwischenschritt in der Entwicklung zu größerer Sicherheit zu betrachten. Ich fordere ihn auf, quasi einen Radar für unsichere Stellen zu entwickeln und sie mit den Noten neben dem Klavier direkt und ohne großen Aufwand zu klären. So hat der Auswendig-Spieler,  der gern unbewusst  bleibt, die Möglichkeit,  sich in dem Stück zu verorten und zu wissen, was er tut. Die Disziplin aufzubringen, nicht über den Spielfluss zu üben, sondern ihn sogar kurz zu unterbrechen, in die Noten zu sehen, die entsprechende Stelle zu finden, sich dort zu orientieren, sie sich wieder neu zu erklären, ist nicht ohne, aber es lohnt sich!

Das bevorzugte Gedächtnis der Auswendig-Spieler, nämlich Hören, Bewegungsgedächtnis und Tastenbild, wird um die Identifizierung und Versprachlichung ergänzt. Das führt zu einer bewussten Verankerung dessen, was auf einer niedrigeren Bewusstheitsebene sowieso schon läuft, also letztendlich zu mehr Sicherheit und das sogar in ungewohnten Situationen.

alles auf Anfang

Anfang des Jahres 1974, ich liege mit einer dicken Bronchitis im Bett, schon zum zweiten Mal in diesem Winter. Meine Mutter fragt mich, ob ich Lust hätte, Klavier spielen zu lernen. Ja, klar habe ich Lust. Ich habe Blockflötenunterricht gehabt, vorher die musikalische Früherziehung durchlaufen, alles mit mäßigem Interesse, aber jetzt schreit alles Ja Ja Ja.

Meine Mutter hat auch schon eine Lehrerin im Kopf. Ich soll nicht beim Organisten im Dorf Unterricht bekommen, sondern bei seiner Tochter, sie studiert in Aachen Kirchenmusik, spielt aber noch lieber Klavier als Orgel.

Nun werde ich zuerst mal ganz schnell gesund. Dann muss natürlich ein Klavier gekauft werden, es ist rotbraun, hat einen französischen Namen und passt perfekt zur Wohnzimmereinrichtung.

Und dann geht es endlich mit den Klavierstunden los. Meine Klavierlehrerin ist ein Volltreffer. Jung, lustig, musikbegeistert, ja, sie brennt für die Musik. Und sie nimmt mich mit. Seit ich lesen gelernt habe, hat mir nichts mehr so viel Spaß gemacht. Ich liebe den Klang, die Vielstimmigkeit und auch das viele Denken dabei. Meine Lehrerin ist Motivation pur, jede Korrektur oder Kritik ist nur Erweiterung der Möglichkeiten. Sie bremst mich kein kleines bisschen und ich nehme Fahrt auf.